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10-Punkte-Leitfaden zur Geburtsüberwachung und Geburtshilfe

Sowohl unsachgemäßes als auch unnötiges Eingreifen während der Kalbung kann schwere Folgen haben. Dazu gehören Nachgeburtsverhaltungen, Gebärmutterentzündungen und lebensschwache Kälber, aber auch Tod von Muttertier und Kalb. Ein systematisches, standardisiertes Vorgehen bei jeder Abkalbung sorgt dafür, dass jeder (beispielsweise eine wechselnde bzw. neue Arbeitskraft) immer genau weiß, was wann zu tun ist und auch in hektischen Situationen kein wichtiger Punkt vergessen wird.

1. Rechtzeitig umstallen

Die Kuh bzw. die Färse rechtzeitig, d.h. bevor deutliche Geburtsanzeichen auftreten, in eine saubere Abkalbebox umstallen (z.B. wenn die Beckenbänder eingefallen sind, die Zitzen glänzen und die Milch tröpfelt- die Geburt kann nach diesen undeutlichen Geburtsanzeichen in wenigen Stunden bis einigen Tagen beginnen).

Warum?
Sind die Vorderbeine schon sichtbar, hat die Geburt bereits begonnen und ein Umstallen unterbricht den normalen Geburtsverlauf. Dies kann zu Schwergeburten führen. Andererseits sollen die Tiere auch nicht unnötig lange in der Abkalbebox aufgestallt sein, damit sie sich nachher nicht neu in die Herde integrieren müssen und es zu Rangordnungskämpfen kommt.

2. Regelmäßige Geburtsüberwachung

Sobald deutliche Geburtsanzeichen wie abgehaltener Schwanz, Bauchpresse, Abgang von blutigem Schleim, Sichtbarwerden von Fruchtteilen bzw. Fruchtblase vorhanden sind, das Muttertier möglichst unauffällig aber häufig (alle 15 bis 30 Minuten) beobachten.

Warum?
Die Beobachtung sollte möglichst unauffällig sein, damit das Muttertier nicht unnötig gestresst wird und der Geburtsverlauf unterbrochen wird. Die Geburt ist ein kontinuierlicher Vorgang. Sobald eine Unterbrechung des normalen Verlaufes festgestellt wird, sollte man durch eine vaginale Untersuchung die Ursachen abklären.

3. Die Dauer einer normalen Geburt kennen

Bei Kühen kann es 1 bis 3 Stunden, bei Färsen auch bis zu 4 bis 6 Stunden vom Blasensprung bis zum Durchtreten des Kopfes dauern, ohne dass ein Eingreifen notwendig ist (Aufweitungsphase). Nach dem Durchtritt des Kopfes durch die Scham sollte das Kalb nach 10 bis 15 Minuten geboren sein (Austreibungsphase). Sobald der Geburtsvorgang nicht voranschreitet oder diese Zeiten überschritten werden, ist eine vaginale Untersuchung und ggfs. Geburtshilfe notwendig.

Warum?
Nie ohne Grund, d.h. in den meisten Fällen zu früh, untersuchen. Die
Untersuchung kann die Aufweitungsphase unterbrechen, so dass aus einer normalen Geburt erst eine Schwergeburt wird. Weiterhin stellt jede Untersuchung ein Hygienerisiko dar.

4. Geburtsverlauf dokumentieren

Den Beginn, Verlauf und das Ergebnis der Geburt dokumentieren.

Warum?
Auch bei Schichtwechsel weiß so jeder ganz genau, wann die Geburt begonnen hat. In großen Betrieben kann mit den Aufzeichnungen die Geburtsüberwachung durch den Herdenmanager oder Tierarzt kontrolliert werden.

5. Richtig sauber: Die geburtshilfliche Untersuchung

Das Muttertier fixieren (allerdings nicht mit Hilfe eines Fanggitters, da hierbei Strangulationsgefahr besteht, wenn sich das Tier hinwirft) und den Schwanz ausbinden. Dann die Genitalregion gründlich mit Wasser und einer hautverträglichen Desinfektionslösung reinigen. Hände und Arme gründlich waschen, saubere Kleidung und Einmalhandschuhe tragen.

Warum?
Durch unsauberes Vorgehen bei einer vaginalen Untersuchung können Keime in den Genitaltrakt gelangen und zu einer Gebärmutterentzündung führen, was die Fruchtbarkeit herabsetzen kann. Praktisch und gut zu reinigen sind Geburtshilfekittel. Einmalhandschuhe bis zur Schulter schützen den Geburtshelfer vor infiziertem Fruchtwasser oder allergischen Reaktionen. Ein Paar kurze Einmalhandschuhe über den langen geben den Händen mehr Griff.

6. Viel Gleitgel verwenden

Mit viel Gleitgel wird dann der Öffnungsgrad des Muttermundes, die Lage, Stellung und Haltung des Kalbes, das Kalb auf Lebenszeichen und die Gebärmutter hinsichtlich einer Verdrehung untersucht. Nur bei korrekter Lage, Stellung und Haltung des Kalbes darf mit dem Auszug begonnen werden, d.h. bei Vorder- oder Hinterendlage, oberer Stellung (Rücken des Kalbes zeigt zum Rücken des Muttertieres) und gestreckter Haltung. Stellungs- und Haltungsanomalien am stehenden Tier mit viel Gleitgel unter Schutz des weichen Geburtsweges berichtigen.

Warum?
Das Gleitgel schützt die weichen Geburtswege und das Kalb, reichlich Gleitgel ist also angewandter Tierschutz und macht manchmal einen Auszug erst möglich.

7. Fachgerecht ziehen: Die Auszugsregeln

Beide Gliedmaßen des Kalbes mit jeweils einer Geburtskette oberhalb der Fesselgelenke fixieren, so dass die Ketten auf der Beugeseite der Gelenke verlaufen.

Warum?
Geburtsketten lassen sich leichter reinigen und desinfizieren als Geburtsstricke. Einige finden Geburtsstricke praktikabler, da sie nicht so leicht Knochenbrüche beim Kalb verursachen. Die Stricke können auch in der Waschmaschine gewaschen und anschließend ausgekocht werden.

Bei Vorderendlage: Beim Einzugsversuch des Kalbes in das mütterliche Becken (also Einzug von Ellbogen und Schultergürtel) wechselseitig an den Ketten ziehen. Dies sollte am stehenden Tier und mit der Kraft von nur einer Person (kein mechanischer Geburtshelfer!) erfolgen. Ist das nicht möglich, sollte von einem Auszug abgesehen werden und ein Kaiserschnitt vorgenommen werden.
Bei Hinterendlage gleichzeitig an den Ketten ziehen.

Warum?
Durch den wechselzeitigen Zug bis zum Austreten des Kopfes ist weniger
Kraft und Energie notwendig, das schont Muttertier und Kalb.

Zughilfe für den Auszug bei Seitenlage des Muttertieres ausüben und gleichzeitig an den Ketten ziehen.

Warum?
Nur bei einer Seitenlage kann die Bauchpresse durch eine Steilerstellung des mütterlichen Beckens zu besseren Raumverhältnissen führen. Das ermöglicht einen schonenderen Auszug. Dafür das Muttertier ggf. niederschnüren. Ein gleichzeitiger Zug an den Ketten gewährleistet die gleichmäßige Verteilung der hohen Zugkräfte.

Zug nur während der Wehen (Bauchpresse), niemals während der Wehenpausen.

Warum?
Nur während der Wehenpausen kann das Kalb mit sauerstoffreichem Blut versorgt werden. Wird ohne Pause gezogen, ist die Versorgung des Kalbes gefährdet.

Zugkraft so anpassen, dass sie die Kraft von 2 Männern nicht überschreitet.

Warum?
Zu starke Zugkräfte können zu Verletzungen der Geburtswege, zu Nervenquetschungen und zu Knochenbrüchen beim Kalb führen.

Bei Vorderendlage zunächst parallel zur Wirbelsäule des Muttertieres, nach Durchtritt des Brustkorbes des Kalbes um 45° abgewinkelt in Richtung Sprunggelenk des Muttertieres ziehen. Befindet sich das Kalb in Hinterendlage nur parallel zur Wirbelsäule des Muttertieres ziehen.

Warum?
Durch das Abwinkeln der Zugrichtung wird ein Hängenbleiben der Hinterbeine am mütterlichen Becken vermieden.

Bei der Zughilfe den Damm durch kräftiges Gegendrücken mit den Handballen schützen.

Warum?
Durch den Dammschutz werden Einrisse vermieden. Geburtsverletzungen sind oftmals für eine schlechte Fruchtbarkeit verantwortlich.

8. Den Tierarzt hinzuziehen

  • sobald der Verdacht auf eine Gebärmutterdrehung vorliegt
  • sobald eine Lage-, Stellung- und Haltungsanomalie nicht zu berichtigen ist
  • sobald kein Fortschritt erkennbar ist oder wenn der Auszugsversuch nach 20 Minuten nicht erfolgreich abgeschlossen ist
  • sobald Verletzungen oder Blutungen beim Muttertier bemerkt werden

Warum?
Es ist wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen. Denn auch der Tierarzt kann aus einem feststeckenden Kalb keine erfolgreiche Geburtshilfe mehr machen. Ein rechtzeitig durchgeführter Kaiserschnitt kann dagegen die Gesundheit und das Leben von Muttertier und Kalb retten.

Nach der Geburt: Erst das Kalb, dann die Kuh.

9. Erstversorgung des Kalbes

Die Atemwege von Schleim und Fruchtwasserresten befreien (kurzes Hochheben an den Hinterbeinen, evt. mit einer speziellen Pumpe absaugen). Die Atmung und den Kreislauf durch einen Kaltwasserguss in den Nacken und durch Abreiben anregen. Die Versorgung mit Kolostrum sicherstellen. Sobald das Kalb eine Atemdepression aufweist: Einatemreflex auslösen (durch Zwicken zwischen den Nasenlöchern oder Setzen einer Akkupunkturnadel an dieser Stelle), atemstimulierende Medikamente einsetzen (Tierarzt).

Warum?
Das Kalb nur kurz an den Hinterbeinen hochheben, ansonsten wird durch den Druck der Gedärme auf das Zwerchfell die Atmung zu sehr beeinträchtigt.

10. Nachuntersuchung des Muttertieres

Nach der Erstversorgung des Kalbes das Muttertier untersuchen, ob sich ein weiteres Kalb im Geburtsweg befindet oder ob Blutungen oder andere Verletzungen vorliegen.

Warum?
Ein übersehener Zwilling, der im Mutterleib abstirbt, kann zu massiven Problemen führen.

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