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Tierwohl im Milchviehstall

Das Thema Tierwohl scheint in aller Munde. Diesem Trend liegt allerdings eine negative Entwicklung zugrunde: In den letzten Jahren kamen immer mehr Fälle von mangelhaften Tierschutz in der Nutztierhaltung an die Öffentlichkeit. Dies führte unter anderem dazu, dass der Bundestag 2013 das Tierschutzgesetz geändert hat. Es verpflichtet Tierhalter seitdem dazu, betriebliche Eigenkontrollen zu Tierschutzindikatoren durchzuführen. 2014 startete dann das Bundesministerium für Landwirtschaft eine große Initiative mit dem Titel „Tierwohl – eine Frage der Haltung“ (www.tierwohl-staerken.de). Ein deutlicher Schwerpunkt des Projektes liegt auf den Nutztieren. Allein im Haushaltsjahr 2015 stellte das Ministerium 33 Millionen Euro für diese Initiative zur Verfügung. Ziel ist es, Tierhalter nach dem Prinzip der „verbindlichen Freiwilligkeit“ zu motivieren, Tiere tierwohlgerechter zu halten. Die Schaffung von mehr Tierwohl in deutschen Ställen ist ein wichtiges Ziel der Nutztierhaltungsstrategie des Bundesministerium für Landwirtschaft.

Was ist Tierwohl?

Vereinfacht gesagt bedeutet Tierwohl Gesundheit und Wohlbefinden des Tieres. Wohlbefinden kann der Tierhalter durch fünf Faktoren sichern:

  1. gute Ernährung und eine ausreichende Wasserversorgung
  2. Sicherheit
  3. die Möglichkeit, angeborenes Verhalten auszuüben
  4. Abwesenheit von unangenehmen Zuständen wie Schmerz, Angst und Stress,
  5. ein allgemein gutes Körperbefinden.

Die Verpflichtung zum Tierwohl

Neben den moralischen Verpflichtungen, die ein Tierhalter gegenüber seinem Tier verspürt, formuliert der Staat durch Gesetze, wie Tiere zu halten sind. Seit 2002 ist der Tierschutz sogar als Staatsziel im Grundgesetz verankert. 2013 wurde das Tierschutzgesetz um den § 11 (8) erweitert. Er schreibt vor, dass Tierhalter von Nutztieren ihre Tierhaltung mittels Tierschutzindikatoren bewerten müssen. Diese Eigenkontrollen sollen dazu dienen, dass die Tiere ihrer Art und Bedürfnissen entsprechend gehalten werden. Die Bundesländer sind verantwortlich für die weitere Ausformulierung der Eigenkontrollen. Mittlerweile unterstützen viele Checklisten der unterschiedlichsten Gremien den Tierhalter bei dieser Arbeit.

Tierwohlindikatoren

Wie aber ist es dem Landwirt möglich in seinem Arbeitsalltag integriert das Tierwohl im Milchviehstall zu erheben und zu bewerten? Dafür sind in den letzten Jahren unterschiedliche Modelle entworfen worden, weitere sind in Entwicklung. Die Indikatoren, die zur Bewertung dienen, gehören zwei Gruppen an: Ressourcen- und managementbasierte Indikatoren bewerten die Umwelt der Kuh, d. h. baulich-technische Einrichtungen sowie die Betriebsabläufe. Anzahl der Fressplätze, Liegeplätze, Einstreuqualität, Melkfrequenz und vieles mehr dienen dazu, das Wohlbefinden der Kuh einzuschätzen. Mit den tierbezogenen Indikatoren rückt zunehmend die Kuh in das Zentrum der Beobachtung. Denn es ist zwar die Grundlage, dass die Kuh möglichst optimale Haltungsbedingungen erfährt, sie muss diese aber auch annehmen und ihre Ansprüche darüber befriedigen können. Gesundheitsdaten wie z. B. der Body Condition Score (BSC) geben darüber Auskunft, wie es um die Ernährungs- und Stoffwechselsituation der Kuh bestellt ist, die Ausweichdistanz gibt wichtige Hinweise über das Mensch-Tier Verhältnis.

Einen sehr praxisorientierten Leitfaden für Rinder hat das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. (KTBL) erstellt. Der Leitfaden beschreibt für alle Produktionsrichtungen die zu erhebende Indikatoren, versehen mit dem Hinweis, wie häufig sie mit welcher Stichprobengröße bestimmt werden sollten. Wie vielgestaltig so ein Indikator sein kann, zeigt zum Beispiel die Betrachtung von Integumentschäden, die äußere Haut. Dabei ist die äußere Haut die Schnittstelle des Tieres zur Umwelt und bildet ab, wie sich die Kühe mit der Haltungstechnik, aber auch mit ihrer sozialen Gruppe auseinandersetzen.

Haarlose, schon leicht verhornte Stelle am Nacken einer Milchkuh
Schulter eines Tieres mit verkrusteter, länglicher Wunde

Das erste Foto zeigt eine haarlose, schon leicht verhornte Stelle am Nacken einer Milchkuh. Diese Schäden sind in aller Regel auf nicht an Herdenmaße angepasste Fressgitterhöhen zurückzuführen, spiegeln also, wenn in einem größeren Umfang in der Herde zu beobachten, einen baulichen Mängel dar. Das zweite Foto  zeigt an der Schulter eines Tieres eine verkrustete, längliche Wunde. Diese sind häufiger in Herden zu beobachten, bei denen es hornlose und horntragende Kühe gibt, und die Tiere nicht genügend Ausweichmöglichkeiten haben. Eine weitere Möglichkeit ist, dass diese Wunden zum Beispiel von scharfkantigen Trögen stammen.

Computergestützte Anwendungen zur Eigenkontrolle

Indikatorbezogene Tierbeobachtung ist sehr zweitaufwendig und kann derzeit nur durch Fachpersonal durchgeführt werden. Eine wertvolle Unterstützung können dabei computergestützte Anwendungen sein. Als Beispiel sei hier die Initiative des Land Baden-Württemberg genannt, die man als Smartphone-Anwendung zur Eigenkontrolle des Milchvieh nutzen kann. Hier führt die App den Anwender durch die geforderten, hauptsächlich tierbezogenen Indikatoren. Sie errechnet geeignete Stichprobengrößen individuell, mit aussagekräftigen Bildern macht sie die Einstufungen in die einzelnen Grade deutlich, wie z.B. Verschmutzungen von Euter, Hinterhand. Am Ende errechnet sie das Ergebnis der Eigenkontrolle und der Landwirt kann sich diese entweder sofort auf dem Smartphone ansehen oder sich per E-Mail zusenden lassen.

Finanzierungsmöglichkeiten von Tierwohlmaßnahmen

Kleinere Maßnahmen zur Verbesserung des Tierwohles im Betrieb können Sie zuweilen recht einfach und kostengünstig umsetzen, aber natürlich gibt es auch Situationen, in denen Sie deutlich mehr investieren müssen, um die Anforderungen der unterschiedlichen Zertifizierungen umzusetzen. So fordern z. B. die gängigen Tierwohllabels (EU-Bio, Demeter, Bioland, Naturland, Neuland) dreimal mehr Quadratmeter Stallfläche pro Rind (= 6 Quadratmeter) als gesetzlich vorgeschrieben (1,8 Quadratmeter Stallfläche pro Rind). Diese höheren Produktionskosten goutiert der Verbraucher mit einem höheren Einkaufspreis. Die Europäische Union fördert derzeit mit zwei Maßnahmenpaketen besonders nachhaltige und tiergerechte Haltungsverfahren. Diese Förderprogramme sind Bestandteil des Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutz“ (GAK), wobei die Umsetzung dieser Programme in den einzelnen Bundesländern deutlich variiert. Weitere Details sind auf der Internetseite des Bundesministerium für Landwirtschaft zu finden. Das Land Baden-Württemberg verfolgt mit seinem Pilotprojekt Q-Wohl und dem dazugehörigen Tierwohllabel einen regionalen Ansatz. Vorteil solcher regionaler Zertifizierungen ist die Stärkung regionaler landwirtschaftlicher Strukturen sowie die Möglichkeit, auf vorhandene regionale bäuerliche Besonderheiten einzugehen. In einem dreistufigen Zertifizierungsverfahren erheben externes Fachpersonal sowie der Landwirt selbst in unterschiedlicher Häufigkeit Indikatoren zur Erfüllung von Mindeststandards, sowie ressourcenbezogene und tierbezogene Tierwohlindikatoren. Diese Auswertung soll dann in eine Klassifizierung von „Ein bzw. Zwei-Sterne“-Milch münden, die der Konsument auswählen und entsprechend vergüten kann. Ein ausschlaggebender Punkt für die höherklassifizierte Zwei-Sterne-Milch ist Weidegang. Ställe mit Anbindehaltung sind per se von dem Projekt ausgeschlossen. Mit höheren Erzeugerpreisen soll der Landwirt die Chance erhalten, seine Bemühungen in punkto Tierwohl kompensieren zu können und die kleinbäuerlichen Strukturen sollen erhalten bleiben.

Literaturtip:
Tierschutzindikatoren: Leitfaden für die Praxis – Rind. Herausgeber: Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V., Darmstadt

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